XI ZB 17/24
BUNDESGERICHTSHOF XI ZB 17/24 BESCHLUSS vom 11. März 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:110325BXIZB17.24.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2025 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Dr. Matthias, die Richterin Dr. Derstadt sowie den Richter Dr. Schild von Spannenberg beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 2024 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 15.146,47 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz wegen des Verkaufs von Zertifikaten aus ihrem bei der Beklagten geführten Depot.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 7. Oktober 2022 zugestellt worden. Die Klägerin hat gegen das Urteil fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21. November 2022 begründet. Die Berufungsbegründung ist am 12. Dezember 2022 beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Verfügung vom 12. April 2024 hat die Vorsitzende des Berufungsgerichts die Klägerin auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung hingewiesen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat daraufhin ein nicht vom Berufungsgericht erstelltes, mit "Zustellbestätigung" überschriebenes Schriftstück vorgelegt und vorgetragen, die Berufungsbegründung sei am 5. Dezember 2022 versandt worden.
Das Berufungsgericht hat überprüfen lassen, wann die Berufungsbegründung auf dem Server des Berufungsgerichts eingegangen ist. Dabei wurde festgestellt, dass am 5. Dezember 2022 im elektronischen Eingangspostfach des Berufungsgerichts keine Sendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen ist. Eine Prüfung des Zeitraums vom 5. bis zum 12. Dezember 2022 hat nur den Eingang der Berufungsbegründung am 12. Dezember 2022 ergeben. Hierüber wurden die Parteien mit Verfügung der Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom 24. April 2024 unterrichtet.
Daraufhin hat die Klägerin vorgetragen, es sei dennoch davon auszugehen, dass die Berufungsbegründung am 5. Dezember 2022 beim Berufungsgericht eingegangen sei. Jedenfalls sei die Frist ohne ihr Verschulden versäumt worden. Die verzögerte Zustellung der Berufungsbegründungsschrift sei ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzurechnen, da sie für diesen nicht erkennbar gewesen sei. Zum maßgeblichen Zeitpunkt habe ihr Prozessbevollmächtigter für die Kommunikation per beA mit dem Programm RA-Micro Software AG (im Folgenden: RA-Micro) gearbeitet. Ein etwaiger fehlender Eingang beim Berufungsgericht lasse sich nur durch technische Probleme erklären. Es scheine so, dass beim Versenden des Dokuments tatsächlich wohl kein sofortiger Versand erfolgt sei oder es zu einer Zustellungsverzögerung auf Seiten des Gerichts gekommen sei. Beides sei für den Prozessbevollmächtigten nicht erkennbar gewesen. Dafür spreche bereits die vorgelegte Zustellbestätigung vom 5. Dezember 2022. Sofern eine Eingangsbestätigung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfolgen könne, werde beim Programm RA-Micro in dem Feld "zugegangen" weder Datum noch Uhrzeit eingetragen sowie die negative Übermittlung auf dem Dokument zusätzlich gesondert ausgewiesen. Beides sei hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr seien unter dem Feld "zugegangen" ein Datum sowie eine Uhrzeit gelistet worden. Darüber hinaus sei unter "Anlagen" die korrekte PDF-Datei grün hinterlegt worden. Diese farbliche Hinterlegung werde vom Programm automatisch vorgenommen. Auch in der Folgezeit sei keine Fehlermeldung durch das Programm RA-Micro erfolgt, welche den Prozessbevollmächtigten auf mögliche technische Probleme bzw. den mangelnden Zugang hätte hinweisen können. Bei entsprechenden Problemen verlasse die Nachricht zudem nicht das Postausgangsfach. Das Fehlen einer Fehlermeldung sowie der Umstand, dass die Berufungsbegründung nach dem Versenden das Postausgangsfach doch noch verlassen habe, werde anwaltlich versichert. Eine erneute Zustellung am 12. Dezember 2022 sei jedenfalls nicht veranlasst worden. Nach Ablauf von über zwei Jahren seien Zugangsnachweise im beA-Onlineportal nicht mehr verfügbar und könnten daher nicht vorgelegt werden. Sie würden automatisch nach wenigen Wochen gelöscht. Der Umstand, dass der Nachweis aufgrund des späten Hinweises des Gerichts nicht mehr vorgelegt werden könne, könne nicht zulasten der Klägerin gehen.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden. Die Berufungsbegründung sei erst am 12. Dezember 2022 im elektronischen Eingangspostfach des Berufungsgerichts eingegangen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe keinen Erfolg. Nach den zur Begründung vorgetragenen Umständen sei nicht ausgeschlossen, dass die Fristversäumnis auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruhe. Dieser habe nach eigenem Vorbringen nach dem Versandvorgang am 5. Dezember 2022 weder den Erhalt noch den Inhalt der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO überprüft, sondern sich allein auf die Anzeige der Büroverwaltungssoftware RA-Micro und eine dort nicht erfolgte Fehlermeldung verlassen.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht weder auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz noch ihres Anspruchs auf ein faires Verfahren (jeweils Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) noch ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und ihre Berufung als unzulässig verworfen, denn die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
1. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Bei beiden Versandtechniken ist es unerlässlich, die ordnungsgemäße Übermittlung zu überprüfen, insbesondere, ob der Eingang des elektronischen Dokuments vom Gericht gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO bestätigt wurde. Diese Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Gewissheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 21 ff., 46 ff., vom 29. September 2021 - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 12, vom 24. Mai 2022 - XI ZB 18/21, NJW-RR 2022, 1069 Rn. 10 f. und vom 20. September 2022 - XI ZB 14/22, WM 2022, 2020 Rn. 7; BAGE 167, 221 Rn. 20).
2. Die danach geforderten Sorgfaltspflichten, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht erfüllt. Seinem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, dass er kontrolliert hat, ob vom Berufungsgericht eine Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Vielmehr hat er sich mit der Anzeige seiner Büroverwaltungssoftware begnügt, was - anders als die Rechtsbeschwerde meint - grundsätzlich nicht ausreicht (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2020, 183 Rn. 14; jurisPK-ERV/Jansen, Stand: 21. November 2023, § 233 ZPO Rn. 70). Die Pflicht, den Versandvorgang zu überprüfen, besteht auch dann, wenn der elektronische Rechtsverkehr - wie vorliegend in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigen der Klägerin - über die Schnittstelle eines Büroverwaltungsprogramms abgewickelt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Januar 2023 - IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 Rn. 17 und vom 6. September 2023 - IV ZB 4/23, NJW 2023, 3432 Rn. 17). Ob sich der Rechtsanwalt unter bestimmten Umständen auf eine Zustellbestätigung seiner bislang fehlerfrei arbeitenden Büroverwaltungssoftware verlassen darf - wie die Rechtsbeschwerde meint -, bedarf hier keiner Erörterung, weil die Klägerin keine Umstände vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aus denen sich ein diesbezüglicher Vertrauenstatbestand ergibt.
3. Das Unterlassen der gebotenen Kontrolle kann als Ursache für die Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2020 - XI ZB 17/19, juris Rn. 12 mwN). Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin kontrolliert, ob vom Berufungsgericht die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde, wäre ihm bereits am 5. Dezember 2022 aufgefallen, dass es an einer Eingangsbestätigung fehlt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte dann noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist einen erneuten Übermittlungsversuch vornehmen können (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2022 - XI ZB 14/22, WM 2022, 2020 Rn. 12).
4. Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer für das Versäumnis mitursächlichen Pflichtverletzung des Gerichts, weil der gerichtliche Hinweis auf die Fristversäumnis erst etwa 16 Monate nach Einreichung des Schriftsatzes erfolgt ist. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe es versäumt, die Klägerin so rechtzeitig auf den ausweislich des Prüfvermerks verspäteten Eingang der Berufungsbegründung hinzuweisen, dass für die Klägerin noch die Möglichkeit bestanden hätte, die Zugangsnachweise aus dem beA ihres Prozessbevollmächtigten zu sichern und so den rechtzeitigen Zugang nachzuweisen, wird verkannt, dass eine solche Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts nicht bestanden hat.
Eine solche Pflicht ergibt sich nicht aus dem Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf sich das Gericht zwar nicht widersprüchlich verhalten, es darf aus eigenen oder ihm zurechenbaren Fehlern keine Verfahrensnachteile ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfG, NJW 2008, 2243 Rn. 16; NJW 2014, 205 Rn. 20; BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 10/21, MDR 2022, 449 Rn. 14, jeweils mwN). Die Bestimmung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich aber nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (BVerfG, NJW 2006, 1579 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom 21. März 2017 - X ZB 7/15, NJW-RR 2017, 689 Rn. 15 und vom 23. Oktober 2024 - XII ZB 411/23, NJW 2025, 309 Rn. 30, jeweils mwN). Ein Gericht kann deshalb nur unter besonderen Umständen gehalten sein, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 37/08, NJW-RR 2009, 564 Rn. 10 f. und vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22, NJW 2023, 1668 Rn. 37, jeweils mwN).
Die danach gebotene Abwägung zwischen den betroffenen Belangen fällt zulasten der Klägerin aus. Das Gericht ist nicht gehalten, einer Partei durch einen Hinweis die Zweckmäßigkeit der Sicherung einer Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO in Erinnerung zu rufen. Die Nachricht mit der Eingangsbestätigung kann vor der Löschung im beA des Prozessbevollmächtigten auf verschiedenen Wegen gesichert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März
- III ZB 13/22, NJW 2023, 1737 Rn. 11). Der Prozessbevollmächtigte hat es demnach selbst in der Hand, für die rechtzeitige Sicherung Sorge zu tragen (vgl. Grandel in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 233 Rn. 50a; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 233 Rn. 23.15; jurisPK-ERV/Jansen, Stand: 21. November 2023, § 233 ZPO Rn. 74; Bacher, MDR 2021, 916, 918; Schwenker, MDR 2022, 671 Rn. 43).
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist auch in dem Umstand, dass sich das Berufungsgericht mit dem Vorbringen der Klägerin, wonach aufgrund des späten Hinweises des Gerichts die Zugangsnachweise aus dem beA-Onlineportal nicht mehr vorgelegt werden könnten, nicht näher auseinandergesetzt hat, kein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG)
zu sehen, weil dieser Vortrag - wie gezeigt - nicht geeignet ist, zur Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu führen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2023 - IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 Rn. 23).
Ellenberger Derstadt Grüneberg Matthias Schild von Spannenberg Vorinstanzen: LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 06.10.2022 - 2-27 O 411/21 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 23.05.2024 - 19 U 235/22 -