AK 36/20
BUNDESGERICHTSHOF AK 36/20 BESCHLUSS vom 26. November 2020 in dem Ermittlungsverfahren gegen wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2020:261120BAK36.20.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschuldigten und seines Verteidigers am 26. November 2020 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
I.
Der Beschuldigte wurde am 8. Mai 2020 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 9. Mai 2020 - zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 9. Mai 2020 (ER XXX Gs 213/20) - ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegenstand des ursprünglichen Haftbefehls war der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich des versuchten Mordes in 27 Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in acht Fällen sowie der Sachbeschädigung in drei Fällen schuldig gemacht. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2020 einen erweiterten Haftbefehl vom 25. Juni verkündet (1 BGs 206/20) und dessen Invollzugsetzung beschlossen (1 BGs 236/20). Zufolge dieses Haftbefehls ist der Beschuldigte des versuchten Mordes in 27 Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Kurzwaffe und über Patronenmunition ohne Erlaubnis und Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen ohne Erlaubnis, der Sachbeschädigung in drei Fällen sowie der versuchten Sachbeschädigung gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 211 Abs. 1, Abs. 2 Varianten 4, 5 und 7, § 212 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 303 Abs. 1, § 303c, § 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23, 52, 53 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 2 b) in Verbindung mit Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1, 1.1, 2.1, 2.2 und 2.5, Unterabschnitt 3 Nr. 1, 1.1, Abschnitt 2 Nr. 2, Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 WaffG, § 27 Abs. 1 Nr. 2, § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) aa), Abs. 2 Nr. 1 SprengG, begangen in der Zeit von Anfang des Jahres 2020 bis zum 8. Mai 2020, dringend verdächtig.
Vom 7. bis zum 30. Oktober 2020 ist die Untersuchungshaft aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 23. September 2020 (6 St 4/20 (5)) über die Unterbringung des Beschuldigten zur Beobachtung nach § 81 StPO in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen worden.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2020 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der Beschuldigte ist ursprünglich türkischer, seit dem Jahr 2013 deutscher Staatsangehöriger kurdischer Abstammung. Er wuchs im muslimischen Glauben auf, wobei der Religion in seiner Herkunftsfamilie keine große Bedeutung beigemessen wurde. Etwa ab dem Alter von 16 Jahren interessierte er sich verstärkt für den Islam, durchlief eine religiöse Radikalisierung hin zu einem islamistischjihadistisch geprägten Weltbild und wurde schließlich Anhänger der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS). In ihm wuchs der Wunsch, seiner Überzeugung Taten folgen zu lassen. Er wollte nach Syrien ausreisen und sich dort für den IS betätigen, doch gelang es ihm nicht, entsprechende Kontakte zu knüpfen. Aufgrund seiner Anhängerschaft zum IS nahm der Beschuldigte den türkischen Staat - insbesondere im Zusammenhang mit dem Agieren der dortigen Regierung im Syrienkonflikt - als einen Feind des IS und des Islam wahr. Er entwickelte einen nachhaltigen Hass auf die türkische Regierung und, hieraus abgeleitet, auf Menschen türkischer Abstammung, die er als deren Repräsentanten ansah. Um seine Abneigung auszuleben und zu befriedigen, beschloss er, Anschläge auf türkische Ziele in Deutschland zu verüben. Hierdurch hoffte er, "die Türken" zu Gewalt provozieren und hierdurch Gegengewalt gegen sie auslösen zu können.
aa) Spätestens ab Juni 2017 erwarb der Beschuldigte erhebliche Mengen von Ausgangsstoffen für die Herstellung von Spreng- und Brandvorrichtungen.
Unter anderem bestellte er zwischen Juni und November 2017 über das Internet insgesamt 25 kg Magnesiumpulver, 20 Liter Schwefelsäure und 10 kg feinen Schwefel. Bei seinem damaligen Arbeitgeber, der Firma A. , entwendete er rund 45 kg Guanidiniumnitrat. In verschiedenen Baumärkten kaufte er mindestens 43 Rohre sowie Endkappen zur Anfertigung von Rohrbomben. Zudem erwarb der Beschuldigte eine funktionsfähige, dem Typ Beretta 70 ähnliche, halbautomatische Kurzwaffe des Kalibers 7,65 mm nebst zehn Schuss Munition. Anleitungen für die Herstellung von Sprengvorrichtungen fand er im Internet. Die für die Zündung der Vorrichtungen vorgesehenen Zündschnüre hatte er noch nicht erworben.
Im August 2017 präparierte der Beschuldigte einen Teil der Rohre in seinem Elternhaus in G.
durch das Einfräsen von Rillen zur Verwendung als Rohrbomben. Nach einer längeren Pause, in der er vorübergehend das Interesse an seinen Planungen verloren und die vorbereiteten Materialien in einem Depot eingelagert hatte, befüllte er Anfang des Jahres 2020 insgesamt 23 bereits vorbereitete Rohre mit einer Teilmenge aus 45 kg eines hochexplosiven Blitz-Knall-Satzes, den er aus Magnesium und Schwefel hergestellt hatte. Die Rohre versah der Beschuldigte mit Kappen an den Enden und mit Gewindestangen zur Stabilisierung.
Der Beschuldigte plante, aus den vorhandenen Materialien noch weitere Sprengkörper herzustellen. Die nur teilweise mit Blitz-Knall-Satz befüllten Rohrbomben wollte er im weiteren Fortgang mit Guanidiniumnitrat auffüllen. Diese Substanz sollte zudem bei der Herstellung des Sprengstoffs Nitroglyzerin als Ersatzstoff für Ammoniumnitrat zum Einsatz kommen. Der Beschuldigte hatte den Entschluss gefasst, in der Zeit vom 15. bis zum 17. Mai 2020 Anschläge auf mehrere Moscheen des Dachverbands der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (in türkischer Sprache abgekürzt: DITIB) im näheren Umkreis von W.
zu begehen und anschließend das türkische Generalkonsulat in M.
anzugreifen. Den Schlusspunkt seiner Anschlagserie sollte die DITIB-Zentralmoschee in K. bilden. Hierfür wollte der Beschuldigte eine Vorrichtung mit besonders hoher Sprengkraft aus einem mit Nitroglyzerin präparierten Feuerlöscher herstellen. Diese beabsichtigte er in einem Auto einzubauen oder - nachdem ihm im Frühjahr 2020 die Fahrerlaubnis entzogen worden war - mit öffentlichen Verkehrsmitteln in einer Tasche zur Zentralmoschee zu bringen und dort einzusetzen. Die Schusswaffe wollte der Beschuldigte verwenden, um Imame der Moscheen zu töten oder zumindest zu verletzen. Um die abschlie- ßenden Vorbereitungen für diesen Plan zu treffen, transportierte er zum Zeitpunkt seiner vorläufigen Festnahme am Abend des 8. Mai 2020 unter anderem zehn Rohrbomben sowie 23 kg Blitz-Knall-Satz von seinem Depot in G.
zu seiner Wohnung in W.
.
bb) In den Wochen vor diesen letzten Vorbereitungen schreckte der Beschuldigte jedoch vor dem Einsatz der Rohrbomben zurück. Er verfügte auch noch nicht über die erforderliche Zündvorrichtung. Deshalb entschloss er sich Anfang April 2020, Anschläge mit anderen Mitteln zu begehen. Als erstes Ziel hierfür wählte er die Moschee in W.
aus. Das Gebetshaus wird von einem Verein betrieben, der der DITIB angehört. Am 2. April 2020 gegen 4:58 Uhr versuchte der Beschuldigte, sich durch einen Tritt gegen die Tür Zutritt zu den Gebetsräumen zu verschaffen, um dort Schaden anzurichten. Da sich die Tür nicht sogleich öffnete und der Fußtritt zudem erheblichen Lärm verursacht hatte, ließ der Beschuldigte davon ab und wandte sich einer Altpapiertonne aus Kunststoff zu, die an der Seite des gesondert auf dem Moscheegelände befindlichen Wohnhauses des Imams stand. Er legte einen Brandsatz aus brennendem Grillanzünder und flüssigen Brandbeschleunigern in die Tonne und schloss den Deckel wieder. Sodann entfernte er sich vom Tatort. Aufgrund des geschlossenen Deckels erloschen die Flammen, ohne einen Schaden anzurichten.
cc) In der Nacht vom 16. auf den 17. April 2020 - nach Angaben des Beschuldigten gegen 2:00 Uhr nachts - warf er einen Pflasterstein gegen eine Fensterscheibe des Friseursalons "
" in W.
,
. Durch die entstandene Öffnung in der Scheibe schüttete er eine zuvor in seiner Wohnung in W.
hergestellte stark riechende Flüssigkeit auf Buttersäurebasis in die Räumlichkeiten. Das Ladengeschäft hatte der Beschuldigte aufgrund des türkischen Namens der Inhaberin, der deutschen Staatsangehörigen türkischer Abstammung O. , ausgewählt.
dd) In gleicher Weise warf der Beschuldigte in der Nacht vom 18. auf den
19. April 2020 kurz nach Mitternacht einen Pflasterstein gegen eine Fensterscheibe der Pizzeria " " des türkischstämmigen Geschädigten Al.
in W.
,
, und brachte durch die zerbrochene Scheibe eine übelriechende buttersäurehaltige Flüssigkeit in die Geschäftsräume ein.
ee) Am 27. April 2020 gegen 2:40 Uhr warf der Beschuldigte mit einem Pflasterstein die Scheibe des Obst- und Gemüsegeschäfts des türkischen Staatsangehörigen H.
in W.
,
, ein. Durch die entstandene Öffnung stellte er einen mit einem Deckel verschlossenen Eimer, in dem sich etwa zwei Liter Brennspiritus, einige Schwämme sowie zwei Gaskartuschen befanden. Auf den Deckel des auch auf der Oberseite mit Spiritus präparierten Eimers hatte der Beschuldigte Grillanzünder gelegt und diesen angezündet. Wie von ihm beabsichtigt, schmolz der Deckel durch die Hitzeeinwirkung binnen kurzer Zeit, und der in den Eimer fallende Grillanzünder setzte den Brennspiritus in Brand. Wenig später explodierten nacheinander die beiden Gaskartuschen. Hierdurch geriet das Ladengeschäft in Vollbrand und das Gebäude fing Feuer. Ein Verlassen der über den Geschäftsräumen liegenden Wohnungen über den Haupteingang war aufgrund von Flammen und hochtoxischem Rauch im Treppenhaus bald nicht mehr möglich. 24 der 26 im Haus anwesenden Personen konnten sich jedoch aufgrund einer frühzeitigen Alarmierung durch einen Anwohner oder mit Hilfe der Feuerwehr über einen von außen nicht erkennbaren zweiten Ausgang in der Tiefgarage aus dem Gebäude retten. Eine Hausbewohnerin wurde per Drehleiter aus ihrer Wohnung geborgen. Ein weiterer, in seiner Gehfähigkeit eingeschränkter Anwohner musste während des Brandes in seiner Wohnung im dritten Obergeschoß ausharren. Vier Menschen wurden durch die Raucheinwirkungen verletzt. Den Tod der zur Tatzeit im Haus befindlichen 26 Personen hatte der Beschuldigte zumindest billigend in Kauf genommen. Bei dem Brand entstand ein Sachschaden in Millionenhöhe.
ff) Am 6. Mai 2020 gegen 2:45 Uhr warf der Beschuldigte zwei Flusssteine in die Fensterscheibe der Gaststätte "
" des türkischen Geschä- digten C. in W.
,
, und goss auch hier eine stark riechende Flüssigkeit auf Buttersäurebasis in die Innenräume.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung der Sachbeschädigungsdelikte (oben bb), cc), dd) und ff)) bejaht.
b) Der dringende Tatverdacht gegen den Beschuldigten beruht auf seinen umfangreichen, im Wesentlichen geständigen Einlassungen sowie auf den bisherigen Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen. Wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird auf die eingehenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 25. Juni 2020 und den polizeilichen Abschlussbericht vom 29. Oktober 2020 Bezug genommen.
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des Mordversuchs bzw. der gefährlichen Körperverletzung - oben a) ee) - bezieht sich - wie aufgrund der weiter durchgeführten Ermittlungen bekannt geworden ist - entgegen den ursprünglichen Annahmen auf 26, nicht auf 27 in dem Gebäude anwesend gewesene Personen, von denen vier Rauchgasverletzungen erlitten. Soweit der Beschuldigte zu seiner Vorstellung von der Tat angegeben hat, er sei von einem "leichten Brand" innerhalb des Ladengeschäfts nach Art eines Grillfeuers ausgegangen, der von selbst wieder erlöschen werde, erscheint diese Einlassung im Hinblick auf die erhebliche Menge des eingebrachten Brandbeschleunigers und die beiden Gaskartuschen nicht nachvollziehbar, so dass trotz der genannten abweichenden Angaben mit hoher Wahrscheinlichkeit von vorsätzlicher Tatbegehung auszugehen ist.
Gemäß vorläufiger Einschätzung des mit der Erstattung eines Gutachtens zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB beauftragten psychiatrischen Sachverständigen Dr. Ge. liegen bei dem Beschuldigten eine atypische Schizophrenie mit hebephrenen und paranoiden Zügen sowie ein erheblicher Alkohol- und Cannabinoidabusus vor, weswegen zwar von einer Einschränkung der Schuldfähigkeit, nicht aber von deren Aufhebung auszugehen sei.
c) Danach hat sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit des versuchten Mordes in 26 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen (oben a)
ee)), der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubtem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen (oben a) aa)), der Sachbeschädigung in drei Fällen (oben a) cc), dd) und ff)) sowie der versuchten Sachbeschädigung (oben a) bb)) gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 211 Abs. 1, Abs. 2 Varianten 4, 5 und 7, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 303 Abs. 1, §§ 303c, 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23, 52, 53 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b in Verbindung mit Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1, 1.1, 2.1, 2.2 und 2.5, Unterabschnitt 3 Nr. 1, 1.1, Abschnitt 2 Nr. 2, Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 WaffG, § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 27 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa, Abs. 2 Nr. 1 SprengG schuldig gemacht.
Soweit der Beschuldigte zu der unter a) aa) dargestellten Tat angegeben hat, bewusst mit einer erheblichen Menge von Bombenbaumaterialien ohne Fahrschein mit der Bahn gefahren zu sein, weil er sich "auf eine andere Art und Weise" habe stellen wollen, stellt dies den dringenden Tatverdacht hinsichtlich des Vorliegens einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nicht in Frage. Ob die Voraussetzungen des § 89a Abs. 7 StGB vorliegend anzunehmen sind, bedarf im Rahmen dieser Haftentscheidung keiner näheren Betrachtung.
d) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof für die Strafverfolgung beruht hinsichtlich der vorgeworfenen Tat zu a) aa) auf § 142 Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG und bezüglich derjenigen zu a) ee) auf § 142 Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a und b GVG. Im Hinblick auf die übrigen Tatvorwürfe ergibt sich die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof kraft Sachzusammenhangs
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128, 144 und vom 20. September 2012 - 3 StR 314/12, juris Rn. 20). Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die eingehenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 25. Juni 2020 Bezug genommen.
2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).
Der Beschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung auch unter Zugrundelegung der vorstehend erörterten Abweichungen und einer Strafmilderung gemäß § 21 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB mit einer empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden erheblichen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Zwar liegt der Lebensmittelpunkt des Beschuldigten im Inland. Seine nach islamischem Ritus angetraute Ehefrau lebt jedoch von ihm getrennt. Die nur losen sozialen Kontakte zu den Mitgliedern seiner in Deutschland lebenden Herkunftsfamilie sind ebenfalls nicht geeignet, ihn von einer Flucht abzuhalten. Gleiches gilt im Ergebnis für zuletzt ausgeübte Zeitarbeitstätigkeiten des Beschuldigten. Dagegen verfügt er über Kenntnisse der türkischen Sprache und Kontakte zu in der Türkei lebenden Verwandten väterlicherseits, die ihn in die Lage versetzen, sich der Strafverfolgung durch Flucht in das Ausland zu entziehen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass sich der Beschuldigte, sollte er in Freiheit gelangen, nicht dem Strafverfahren stellen wird.
Die genannten Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Taten ohne weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) auf den Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO zu stützen ist.
Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind aus den genannten Gründen nicht erfolgversprechend.
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen. Das Verfahren ist bisher mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat das Verfahren bereits am 19. Mai 2020 übernommen und zeitgleich mit der Übernahme ein Gutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten in Auftrag gegeben. In dessen Rahmen wurde der Beschuldigte am 29. Juni, 3. und 24. Juli 2020 sowie während seiner stationären Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Sachverständigen Dr. Ge. exploriert. Das Gutachten soll in der 46. Kalenderwoche vorgelegt werden. Im Zuge der Ermittlungen einer eigens eingerichteten polizeilichen Sonderkommission wurden daneben unter anderem bislang über 300 Zeugen vernommen und mehrere Sachverständigengutachten eingeholt; die Auswertung von über 50 sichergestellten Datenträgern dauert an. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat angekündigt, die bereits in Vorbereitung befindliche Anklage in den nächsten Wochen zu erheben.
4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Paul Berg