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II ZR 134/24

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZR 134/24 vom 2. Dezember 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:021225BIIZR134.24.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Born, den Richter Wöstmann, die Richterin B. Grüneberg, den Richter Prof. Sander und den Richter Dr. von Selle am 2. Dezember 2025 beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. Oktober 2024 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 2,4 Mio. € festgesetzt.

Gründe: I.

Der Kläger, die Beklagte zu 1 und der Beklagte zu 2 sind Kommanditisten der E. Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG (im Folgenden: KG), die Beklagte zu 3 ist deren Komplementärin. Das Kommanditkapital beträgt 2 Mio. €, hieran sind der Kläger mit 12 %, die Beklagte zu 1 mit 68 % und der Beklagte zu 2 mit 20 % beteiligt. Die Beklagte zu 3 hat gemäß § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der KG (im Folgenden: GV) kein Stimmrecht.

Nach § 9 Nr. 5 GV kann sich kein Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung vertreten lassen, aber einen Berater beiziehen; nach § 13 Nr. 1 Satz 1 GV kann ein Gesellschafter "von den übrigen Gesellschaftern mit 75 % aller ihrer Stimmen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund im Sinne der §§ 140, 133 HGB vorliegt".

Der Kläger und die Beklagte zu 1 waren über 30 Jahre verheiratet. Nach Trennung im Jahr 2017 sind sie inzwischen geschieden, allerdings dauert die familienrechtliche Auseinandersetzung noch an. Der Beklagte zu 2 ist der Vater der Beklagten zu 1. Am 14. Mai 2019 wurde der Kläger als Geschäftsführer der Beklagten zu 3 abberufen und durch die Beklagte zu 1 abgelöst.

Am 27. April 2022 fand eine Gesellschafterversammlung der KG statt, in der der Kläger und die Beklagte zu 1 persönlich anwesend waren; der Beklagte zu 2 wurde durch einen Rechtsanwalt vertreten. Laut Protokoll wurde zu TOP 7 folgender Beschluss gefasst:

Herr Rechtsanwalt N.

stellte anschließend die Beschlussvorlage zu TOP 7 wie folgt zur Abstimmung und wies darauf hin, dass Herr L. aufgrund des bestehenden Stimmverbots insoweit nicht abstimmen darf.

"Herr L.

wird gemäß § 13 der Satzung aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen." Die Beklagte zu 1 und der den Beklagten zu 2 vertretende Rechtsanwalt stimmten für den Beschluss, worauf der Rechtsanwalt feststellte, dass der Beschluss "mit 100 % der Stimmen (= 88 % der Kapitaleinlagen)" zustande gekommen sei.

Der Kläger hat u.a. gegen diesen Ausschließungsbeschluss Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben; die Beklagte zu 3 hat widerklagend beantragt, den Kläger zur Herausgabe von Schlüsseln zu einem im Untergeschoss einer Immobilie in A.

gelegenen Büro der KG und zur Duldung und Ermöglichung des Zugangs ihrer Geschäftsführerin zu verurteilen.

Das Landgericht hat die Klage mit Teilurteil und die Widerklage mit Schlussurteil abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Teilurteil auf die Berufung des Klägers abgeändert und unter Abweisung der Klage im Übrigen die Nichtigkeit des Ausschließungsbeschlusses festgestellt. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, gemäß § 544 Abs. 9 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der am 27. April 2022 zu TOP 7 gefasste Ausschließungsbeschluss sei zwar formell wirksam mit der nach § 13 Abs. 1 GV erforderlichen ¾-Mehrheit zustande gekommen. Entgegen der Ansicht der Beklagten hätten die Anteile der Beklagten zu 1 allein hierfür zwar nicht ausgereicht, weil der Kommanditanteil des Klägers, selbst wenn der Kläger einem Stimmverbot unterlegen haben sollte, bei der Ermittlung der Mehrheit einzubeziehen sei. Der Beklagte zu 2 sei aber trotz § 9 Nr. 5 GV angesichts seines Gesundheitszustands wirksam durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten worden.

Es fehle jedoch an einem wichtigen Grund für die Ausschließung des Klägers. Bei der hierfür vorzunehmenden Abwägung, ob das tiefgreifende Zerwürfnis der Parteien überwiegend von dem Auszuschließenden verursacht worden sei, seien dem Kläger ein versuchter Prozessbetrug zu Lasten der Beklagten zu 1 im Verfahren LG B. und die Vorenthaltung von KG-Unterlagen durch die Zutrittsverweigerung zum Büro der KG anzulasten.

Soweit die Beklagten ihm außerdem die Erhebung (angeblich) unbegründeter Forderungen gegen die KG vorwürfen, sei ihr Vortrag hingegen nicht genügend substantiiert. Die pauschale Bezugnahme auf, ohnehin nicht vorliegende,

Schriftsätze aus dem Verfahren LG B. genüge hierfür nicht; zudem habe der Kläger im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast ausreichend zu den Forderungen vorgetragen. Zu Lasten der Beklagten sei bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, dass die KG den Kläger im Verfahren LG B.

mit einer unberechtigten Schadensersatzforderung aus § 43 Abs. 2 GmbHG in Höhe von 520.000 € überzogen habe. Auch wenn dieses Verfahren maßgeblich von dem Beklagten zu 2 betrieben worden sein möge, sei auch die Beklagte zu 1 dafür verantwortlich, weil sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung Geschäftsführerin der Beklagten zu 3 gewesen sei. Insgesamt könne danach keine Rede davon sein, dass der Kläger das tiefgreifende Zerwürfnis weit überwiegend verschuldet habe, vielmehr habe jede Seite versucht, Ansprüche gegen den jeweils anderen mit unlauteren Mitteln durchzusetzen.

2. Diese Begründung beruht auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 544 Abs. 9 ZPO).

a) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei darf das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags nicht überspannen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verstößt sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. Juli 2019 - VI ZR 42/18, VersR 2019, 1385 Rn. 5; Beschluss vom 1. Februar 2023 - II ZR 882/21, NJW-RR 2023, 450 Rn. 17; Beschluss vom 12. September 2023 - KZR 39/21, WuW 2024, 41 Rn. 18; Beschluss vom 11. Februar 2025 - VI ZR 185/24, NJW-RR 2025, 767 Rn. 9; jeweils mwN).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die Feststellung des Berufungsgerichts, der Vortrag der Beklagten zur Erhebung (angeblich) unbegründeter Forderungen durch den Kläger gegen die KG sei nicht genügend substantiiert, Art. 103 Abs. 1 GG.

aa) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten hinsichtlich der Erhebung unbegründeter Forderungen durch den Kläger lediglich in ungenügender Weise pauschal auf nicht vorliegende Schriftsätze aus dem Verfahren LG B. Bezug genommen, trifft nicht zu.

Zwar können Anlagen nur zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, NJW 2008, 69 Rn. 25). Allerdings kann auf beigefügte Anlagen verwiesen werden, wenn diese aus sich heraus verständlich sind und dem Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit abverlangen. Es wäre reine Förmelei, wollte man den Prozessbevollmächtigten der Partei für verpflichtet halten, die in den Anlagen enthaltenen Informationen noch einmal schreiben zu lassen, um sie dann erneut schriftsätzlich dem Gericht unterbreiten zu können (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 - I ZR 295/00, NJW-RR 2004, 639 unter II 3 a; Beschluss vom 11. April 2013 - VII ZR 44/12, juris Rn. 14). Die Gerichte sind zwar nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, NJW 2008, 69 Rn. 25). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Die Beklagten haben in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom

10. Februar 2023 (Seite 14 i.V.m. Seite 2) hinsichtlich der Erhebung unbegründeter Forderungen durch den Kläger konkret auf ihren Vortrag auf den Seiten 15 bis 17 ihres Schriftsatzes vom 1. Juli 2022 in dem einstweiligen Verfügungsverfahren LG B. Bezug genommen. Ihr dortiger Vortrag enthielt eine nähere Erläuterung zu den vom Kläger geltend gemachten Forderungen und ihrer (nach Ansicht der Beklagten) fehlenden Berechtigung. Eine unzumutbare Sucharbeit wurde dem Berufungsgericht damit nicht abverlangt.

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hatten die Beklagten den konkret in Bezug genommenen Schriftsatz vom 1. Juli 2022 aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren auch vorgelegt. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass sie diesen Schriftsatz bereits mit dem Schriftsatz vom 10. Februar 2023 als Anlage B 1 in beglaubigter Kopie zum hiesigen Verfahren eingereicht hatten.

bb) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich.

Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Beklagten zur Geltendmachung unberechtigter Forderungen durch den Kläger, hätte es den in Bezug genommenen Vortrag der Beklagten auf Seiten bis 17 ihres Schriftsatzes vom 1. Juli 2022 aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren LG B.

zur Kenntnis genommen, für hinreichend substantiiert und das Gegenvorbringen des Klägers im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast für unzureichend erachtet hätte. Damit ist auch nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei seiner Gesamtabwägung der beiderseitigen Verantwortung für das tiefgreifende Zerwürfnis zwischen den Parteien zu Lasten des Klägers auch diesen Umstand eingestellt und aufgrund dessen zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Die - nicht näher begründete - Annahme des Berufungsgerichts, bei Ermittlung der nach § 13 GV für eine Ausschließung erforderlichen ¾-Mehrheit sei die Kapitalbeteiligung des Klägers einzubeziehen, verstößt gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze. Danach bildet der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2024 - II ZR 222/21, ZIP 2025, 146 Rn. 18 mwN). Angesichts des Wortlauts von § 13 Nr. 1 Satz 1 GV ist davon auszugehen, dass für die Berechnung der Mehrheit allein auf die Stimmanteile der "übrigen" Gesellschafter abzustellen und damit der Anteil des von der Ausschließung betroffenen Gesellschafters nicht zu berücksichtigen ist. Zwar verweist die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung grundsätzlich zutreffend darauf, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bildet (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2024 - II ZR 222/21, ZIP 2025, 146 Rn. 22). Umstände, die eine solche abweichende Auslegung rechtfertigen könnten, hat das Berufungsgericht hier aber nicht festgestellt und werden auch von der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung nicht aufgezeigt.

Sollte bereits die Stimme der Beklagten zu 1 für die nach § 13 GV erforderliche ¾-Mehrheit ausreichend gewesen sein, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht auch zu einer anderen Gesamtabwägung der Verursachungsbeiträge für das tiefgreifende Zerwürfnis der Gesellschafter gelangt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1990 - II ZR 21/89, NJW-RR 1990, 530, 531, juris Rn. 9 f.).

Born Sander Wöstmann von Selle B. Grüneberg Vorinstanzen: LG Bonn, Entscheidung vom 08.08.2023 - 11 O 32/22 OLG Köln, Entscheidung vom 29.10.2024 - I-4 U 129/23 -

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