6 StR 654/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 654/24 BESCHLUSS vom 8. Januar 2025 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2025:080125B6STR654.24.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2025 beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 29. August 2024 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entzündete der Beschuldigte am 4. Mai 2021 in einer Gartenlaube einen mitgebrachten Rucksack, wobei er ein Übergreifen der Flammen auf die Laube billigend in Kauf nahm. Das Feuer konnte durch Polizeibeamte gelöscht werden; es entstand Sachschaden in Höhe von 100 Euro (Tat 1). Am 24. Juli 2021 entzündete der Beschuldigte auf einem Schulgelände unter Verwendung von Textilien und Pflanzenmaterial den Inhalt zweier Müllcontainer. Wenige Minuten später meldete er „als angeblicher Entdecker“ den Brand, der gelöscht wurde, bevor er sich ausweiten konnte. Durch die Hitzeeinwirkung wurde einer der Container beschädigt (Tat 2). Etwa ein Jahr später betrat der Beschuldigte einen von einem Kindergarten genutzten Bauwagen und zündete mitgebrachte Kleidungsstücke und dort gefundene Papierschnipsel an, die er mit Desinfektionsmittel übergossen hatte. Der Bauwagen brannte vollständig aus, wodurch ein Sachschaden von über 70.000 Euro entstand (Tat 3).
Wenige Tage nach Beginn der Hauptverhandlung ging der Beschuldigte auf das Angebot zweier Jugendlicher ein, für 200 Euro „etwas auszuprobieren“ und zündete zwei dauerhaft aufgestellte Großzelte an, von denen eines vollständig und das andere zur Hälfte ausbrannte.
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als versuchte schwere Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB (Tat 1), als Sachbeschädigung (Tat 2) und als Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Tat 3) gewürdigt. Sachverständig beraten ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten infolge einer Intelligenzminderung bei allen Taten aufgehoben gewesen sei. Sie hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil die Anlasstaten auf der Intelligenzminderung beruhten und von dem Beschuldigten auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien.
2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Ausführungen zur Schuldfähigkeit begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass beim Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten aufgrund seiner Intelligenzminderung ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB vorgelegen hat.
a) Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund diesem Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB unterfallen und zu einer erheblich verminderten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit führen. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2022 – 4 StR 387/22,
Rn. 15; vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23; vom 19. November 2024 – 5 StR 581/24). Deshalb genügt die bloße Wiedergabe des Störungsbildes nicht. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, bei der darzulegen ist, wie sich die festgestellte Intelligenzminderung auf Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten des Täters auswirkt und warum das sich daraus ergebende Störungsbild bei wertender Betrachtung in seiner Gesamtheit ein Ausmaß erreicht, welches die Annahme des Eingangsmerkmals der Intelligenzminderung rechtfertigt.
b) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
aa) Sie sind im Wesentlichen auf die Wiedergabe der Wertung der Sachverständigen beschränkt, wonach der Beschuldigte an einer „leichten Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung“ leide, die „Beobachtung oder Behandlung erfordere“. Zur Abschätzung des Schweregrads der Intelligenzminderung hat die Sachverständige auf das Ergebnis eines im Jahr 2018 von einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie durchgeführten Intelligenztests abgestellt, ausweislich dessen der Beschuldigte einen Gesamtintelligenzquotienten von 61 erreichte. Soweit sie das im Jahr 2023 aufgrund eigener Testung ermittelte abweichende Ergebnis mit einem deutlich höher liegenden Intelligenzquotienten von 82 unter Hinweis darauf für bedeutungslos erklärte, dass die eigene Testung nur der Abschätzung des „prämorbiden Intelligenzniveaus gedient“ habe, vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Weiterhin hätte es im Hinblick auf den Zeitablauf und auf eine mögliche kognitive Weiterentwicklung des damals noch jugendlichen Beschuldigten näherer Darlegungen dazu bedurft, warum dem damaligen Testergebnis gleichwohl entscheidendes Gewicht beizumessen sein sollte.
bb) Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten. Die Mitteilung der Einschätzung der Sachverständigen, der Entwicklungsstand des Beschuldigten entspreche dem eines zehn- bis zwölfjährigen Kindes, die in Ermangelung der Mitteilung der entsprechenden Anknüpfungstatsachen nicht nachvollziehbar ist, vermag die gebotene umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten nicht zu ersetzen.
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte das neue Tatgericht wiederum eine Schuldunfähigkeit infolge einer Intelligenzschwäche erwägen, wird es eingehender als bisher geschehen zu erörtern haben, ob die Intelligenzschwäche Folge einer Krankheit ist. Denn dann gehört sie zur Gruppe der krankhaften seelischen Störungen im Sinne des § 20 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 1996 – 1 StR 416/96, StV 1997, 61; MüKoStGB/Streng, 5. Aufl., § 20 Rn. 38; SSW-StGB/Kaspar, 6. Aufl., § 20 Rn. 70; Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, 2010, Band 2, S. 389; Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 7. Aufl., S. 98). Nur die Intelligenzminderung ohne Organbefund unterfällt dem Eingangsmerkmal der Intelligenzminderung (vgl. zur alten Gesetzesfassung BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 175/20, NStZ-RR 2021, 41, 42; zur neuen Fassung Beschluss vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23, Rn. 10, NStZ-RR 2023, 274).
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