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5 StR 206/25

BUNDESGERICHTSHOF StR 206/25 BESCHLUSS vom 12. Juni 2025 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Cannabis ECLI:DE:BGH:2025:120625B5STR206.25.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juni 2025 beschlossen:

Es wird festgestellt, dass der Angeklagte die gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 9. Dezember 2024 eingelegte Revision wirksam zurückgenommen hat.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den geständigen Angeklagten mit Urteil vom 9. Dezember 2024 wegen Handeltreibens mit Cannabis in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Gegen dieses Urteil hat der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2024 fristgerecht Revision eingelegt und – ausweislich eines Vermerks des Berichterstatters der Strafkammer vom 27. Dezember 2024 – ergänzend mitgeteilt, dass das Rechtsmittel aus „persönlichen Gründen“ seines Mandanten erhoben worden sei und noch im Jahr 2024 zurückgenommen werde. Unter dem 7. Januar 2025 hat der Pflichtverteidiger schließlich Rechtsmittelrücknahme erklärt, wobei der Schriftsatz keine Angaben zu einer Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO enthielt. Nach entsprechendem Hinweis des Berichterstatters hat der Pflichtverteidiger die Rücknahme mit weiterem Schriftsatz von diesem Tag, der am 10. Januar 2025 bei Gericht eingegangen ist, unter Versicherung „besonderer Bevollmächtigung des Mandanten“ erneut erklärt.

Unter dem 3. Februar 2025 hat der Angeklagte über einen neu beauftragten Wahlverteidiger vorgetragen, dass die Rechtsmittelrücknahme des Pflichtverteidigers unwirksam sei. Er habe ihn hierzu nicht ermächtigt. Lediglich vor der Revisionseinlegung habe er mit seinem Pflichtverteidiger darüber gesprochen, dass eine Revisionsrücknahme „möglich sei und erwogen werde“, wenn das Ergebnis des Verfahrens für ihn „passe“. Seit der Urteilsverkündung habe es nur drei telefonische Kontakte zu seinem Pflichtverteidiger gegeben, darin sei der „Aspekt der Revisionsrücknahme“ nicht erörtert worden, vielmehr sei es ausschließlich darum gegangen, wie der Angeklagte „seiner Freiheit wieder teilhaftig“ werden könne. Die Telefonate seien ohne Dolmetscher „in bruchstückhaftem Deutsch und ebensolchem Englisch“ geführt worden. Erst am 20. Januar 2025 sei er vom Pflichtverteidiger gefragt worden, ob er die Revision zurücknehmen wolle. Zu einem früheren Austausch hierüber sei es nicht gekommen.

Der Pflichtverteidiger hat mit Schriftsatz vom 12. Februar 2025 erklärt, dass er vor der Revisionsrücknahme mehrmals vom Angeklagten angerufen worden sei. Im Rahmen dieser Telefonate sei kein Dolmetscher hinzugezogen worden. Die Gespräche seien im Wesentlichen in englischer und ein wenig auch in deutscher Sprache geführt worden. Die Rücknahme sei in mindestens zwei Gesprächen vor Versendung des Schriftsatzes thematisiert und besprochen worden. Dass es erst am 20. Januar 2025 ein Gespräch über die Rücknahme gegeben habe, sei falsch. Er habe die Revision nicht ohne „mündliche Weisung“ des Angeklagten zurückgenommen und sei der Auffassung, dass der Angeklagte trotz des Fehlens eines Dolmetschers die Bedeutung der Kommunikationsinhalte verstanden habe, könne allerdings ein Missverständnis auch nicht ausschließen.

Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2025 hat der Wahlverteidiger die Bescheinigung eines allgemein beeidigten Dolmetschers und Übersetzers vorgelegt, wonach der Angeklagte zwar „in einem gewissen Umfang der deutschen und englischen Sprache mächtig“ sei, seine Kenntnisse in beiden Sprachen jedoch auf ein „General Socializing“, d.h. auf „passive und aktive Kenntnisse bestimmter Bereiche der Alltagssprache beschränkt“ seien, die er jedoch recht gut verstehe. Es sei für den Angeklagten daher unerlässlich, „komplexe juristische Sachverhalte“ in seine Muttersprache Albanisch zu übertragen.

II.

Die Revision des Angeklagten wurde durch seinen Pflichtverteidiger wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 StPO). Da dies in Zweifel steht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16 Rn. 8, NStZ 2017, 487 mwN).

Der Pflichtverteidiger war zur Rechtsmittelrücknahme ausdrücklich ermächtigt. Im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung lag die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten vor (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 1995 – 3 StR 205/95, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 15). Die Wirksamkeit der Ermächtigung stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts fest (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16 Rn. 11, NStZ 2017, 487 mwN; vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 9).

1. Für die Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16 Rn. 9, NStZ 2017, 487; vom 4. Juli 2023 – 4 StR 171/23 Rn. 7). Eine solche anwaltliche Versicherung enthielt der zweite Schriftsatz des Pflichtverteidigers vom 7. Januar 2025. Deren Beweiswirkung wird auch durch das Vorbringen des Angeklagten, mit dem er eine solche Ermächtigung bestreitet, nicht entkräftet.

a) Dass eine ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten zur Revisionsrücknahme vorlag und er die Tragweite seiner Erklärung verstanden hat, ergibt sich aus der Stellungnahme des Pflichtverteidigers vom 12. Februar 2025, deren Glaubhaftigkeit durch weitere Indizien bestätigt wird. So hatte der Pflichtverteidiger ausweislich des Berichterstattervermerks vom 27. Dezember 2024 eine zeitnahe Revisionsrücknahme schon im Jahr 2024 angekündigt. Der zeitliche Ablauf lässt es plausibel erscheinen, dass – wie vom Pflichtverteidiger vorgetragen – zuvor tatsächlich mehrere Telefonate zur Frage der Rücknahme geführt wurden, zumal der Angeklagte die Telefonate an sich eingeräumt hat. Anhaltspunkte für ein übereiltes Handeln des Pflichtverteidigers, welches Missverständnissen hätte Vorschub leisten können, sind danach nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass der in der Sache umfassend geständige Angeklagte zugestanden hat, zumindest vor der Revisionseinlegung in allgemeiner Form mit dem Pflichtverteidiger über die Möglichkeit einer späteren Rücknahme des Rechtsmittels gesprochen zu haben. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Pflichtverteidiger geschilderte Thematisierung der Rücknahme in den vom Angeklagten initiierten Telefonaten nach Rechtsmitteleinlegung lebensnah.

b) Soweit der Pflichtverteidiger am Ende seiner Stellungnahme erklärt hat, Missverständnisse nicht ausschließen zu können, erschüttert dies seine tatsächliche Schilderung nicht. Denn konkrete Anhaltspunkte, die für ein Missverständnis sprechen könnten, werden mit dieser allgemeinen Formulierung gerade nicht aufgezeigt. Auch der Angeklagte schildert keinen konkreten Sachverhalt, der ein solches Missverständnis bergen könnte. Vielmehr behauptet er nur pauschal, dass der Pflichtverteidiger ihn erstmalig am 20. Januar 2025, also deutlich nach der Rücknahme mit Schriftsatz vom 7. Januar 2025, befragt habe, ob er die Revision zurücknehmen wolle; zuvor sei es allein darum gegangen, wie er auf freien Fuß gelangen könne. Dies lässt sich mit einem Missverständnis in einem früheren Gespräch nicht ohne weiteres vereinbaren.

c) Soweit in der vom Wahlverteidiger verfassten Gegenerklärung der Entpflichtungsantrag des Pflichtverteidigers in einem anderen Verfahren wiedergegeben wird, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Dort erklärt der Pflichtverteidiger, er bitte um seine Entpflichtung, da es im hiesigen Verfahren „bezüglich der Einlegung bzw. Rücknahme der Revision zu einem Missverständnis aufgrund einer nicht unter Hinzuziehung eines Dolmetschers geführten Kommunikation über die Frage der Rücknahme der Revision gekommen ist“. Durch diese Erklärung wird der Beweiswert der anwaltlichen Versicherung nicht erschüttert. Denn aus dieser lassen sich keine Relativierungen derselben oder der anwaltlichen Stellungnahme hierzu ableiten. Angesichts der bislang ungeklärten Frage der Wirksamkeit der Rücknahme ergibt sich aus dem pauschalen Hinweis auf ein Missverständnis – gerade auch im Kontext der beantragten Entpflichtung in einem anderen Verfahren – kein den Tatsachenvortrag in Frage stellender oder konkret für ein Missverständnis sprechender Umstand.

2. Durch fehlende Sprachkenntnisse verursachte Willensmängel, die die Wirksamkeit der dem Pflichtverteidiger erteilten Ermächtigung zur Revisionsrücknahme in Frage stellen könnten, liegen nicht vor.

a) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung oder der Ermächtigung hierzu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird durch Einschränkungen in der Kommunikations- oder Alltagsfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst dann auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (vgl. zur Rücknahme bei geschäfts- und schuldunfähigen Angeklagten BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15 Rn. 6, NStZ-RR 2016, 180; vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16 Rn. 12, NStZ 2017, 487; vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 10).

b) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Denn die Entscheidung, ob ein eingelegtes Rechtsmittel weiterbetrieben oder zurückgenommen werden soll, stellt sich in tatsächlicher Hinsicht als einfache Auswahlfrage dar, welche deshalb auch mit alltagssprachlichen Mitteln verstanden und beantwortet werden kann. Der Pflichtverteidiger durfte mithin – wie geschehen – davon ausgehen, den Angeklagten richtig verstanden zu haben. Sein Situationsverständnis wird gestützt durch die vom Angeklagten vorgebrachte Einschätzung des Dolmetschers, wonach der Angeklagte alltagssprachliche Angelegenheiten gut verstehen könne. Hierzu passen auch die sich aus den Urteilsgründen ergebenden persönlichen Umstände, wonach der in Albanien geborene Angeklagte einen gymnasialen Abschluss erreichte, in mehreren europäischen Ländern mit unterschiedlicher Landessprache berufstätig war, bereits in den Jahren 2013 bis 2018 lernte, sich „rudimentär“ auch in deutscher Sprache zu verständigen und ab dem Jahr 2018 Deutschland bereiste, um hier im Auftrag einer italienischen Firma günstig Baumaschinen zu erwerben, um schließlich seit dem Jahr 2021 Wohnsitz in Deutschland zu nehmen.

c) Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Erörterung der Rücknahme des Rechtsmittels – ein ihm nicht unbekanntes Thema, über das er mit dem Verteidiger jedenfalls vor der Einlegung der Revision bereits gesprochen hat – komplett wegen sprachlicher Defizite entgangen sein könnte, und er deswegen keine konkrete Einbettung eines sprachlichen Missverständnisses vortragen kann, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Bei einem umfassenden Unverständnis der Aussagen des Pflichtverteidigers würde sich auch nicht erklären, warum der Angeklagte ihn dennoch mehrmals – auch nach dem Vortrag des Angeklagten mindestens dreimal – angerufen hat, obwohl ihm klar war, dass für das Telefonat kein Dolmetscher zur Verfügung steht.

d) Soweit der Wahlverteidiger einen absoluten Ausschluss eines Kommunikationsfehlers wegen der „vom Fall abstrahiert und über diesen hinausweisend“ betonten Gefahr eines „Schulterschlusses willfähriger Verteidiger mit Justizangehörigen und deren Interessen bei der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten“ fordert, erschließt sich der konkrete Bezug zum Fall nicht. Dass dem Angeklagten während der Hauptverhandlung ein Dolmetscher zur Seite stand, führt für sich allein nicht zur Unwirksamkeit solcher Erklärungen, die der Angeklagte in privater Kommunikation mit seinem Verteidiger ohne Dolmetscher abgegeben hat. Deren Wirksamkeit ist vielmehr davon abhängig, ob der Angeklagte ihre Bedeutung erfassen konnte, was sich nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt.

3. Sollte der Angeklagte unzutreffend angenommen haben, im Fall einer Rechtsmittelrücknahme bis zur Einleitung der Strafvollstreckung auf freien Fuß zu kommen, würde sich hieraus nichts Anderes ergeben, denn eine Anfechtung der Rücknahme wegen Motivirrtums ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen; die Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 12; vom 23. Mai 2023 – 2 StR 469/22 Rn. 10, NStZ 2023, 699).

Cirener Gericke Mosbacher Resch von Häfen Vorinstanz: Landgericht Leipzig, 09.12.2024 - 5 KLs 101 Js 49419/24

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