AnwZ (Brfg) 29/20
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 29/20 BESCHLUSS vom
10. November 2020 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ECLI:DE:BGH:2020:101120BANWZ.BRFG.29.20.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg als Vorsitzende, den Richter Dr. Remmert und die Richterin Dr. Liebert sowie den Rechtsanwalt Dr. Wolf und die Rechtsanwältin Merk am 10. November 2020 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 19. Februar 2020 wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I. 1 Der Kläger ist seit 1991 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 9. November 2017 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die Beklagte ordnete am 18. Mai 2018 die sofortige Vollziehung des Widerrufs an. Die gegen den Widerrufsbescheid gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Der Kläger beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft. Er ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragstellung durch den sich selbst vertretenden Kläger trotz des angeordneten Sofortvollzugs des Widerrufs wirksam (§ 14 Abs. 4 i.V.m. § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO; vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2012 - AnwZ (Brfg) 58/11, NJW-RR 2012, 1336 Rn. 2 ff.).
Der Antrag bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - AnwZ (Brfg) 66/18, juris Rn. 5).
Entsprechende Zweifel vermag der Kläger nicht darzulegen. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung.
a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 4 und vom 7. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 5; jeweils mwN).
b) Das Vorbringen des Klägers begründet keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Anwaltsgerichtshofs, dass sich der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids in Vermögensverfall befunden hat.
Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Gibt es Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, welche den Schluss auf den Eintritt des Vermögensverfalls zulassen, kann der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids gegen ihn bestanden haben und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 5 und vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 4).
Zutreffend ist der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen, dass die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 2. Hs. BRAO im Hinblick auf die nach Erlass des Widerrufsbescheids erfolgten Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis nicht eingreift. Der Anwaltsgerichtshof hat indes angesichts der in der Anlage zum Widerrufsbescheid aufgezählten offenen und titulierten Forderungen festgestellt, dass ein Vermögensverfall vorliegt. Dies ist nicht zu beanstanden.
Nicht entscheidungserheblich ist das Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag, wonach er entsprechend seinem erstinstanzlichen Vortrag einige der in der Forderungsaufstellung genannten Forderungen bereits vor dem Widerruf getilgt habe. Denn auch ohne Berücksichtigung dieser Forderungen bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Anwaltsgerichtshof zutreffend einen Vermögensverfall bejaht hat. Der Kläger trägt selbst im Zulassungsantrag vor, die in der Forderungsaufstellung enthaltenen Forderungen "ADAC, Allianz, Buechs, Beck, Steiner, Weishaar" seien "offen". Hierbei handelt es sich um die in der Aufstellung als offen aufgeführten Forderungen Nr. 6 (15.262,18 €), Nr. 7 (8.799,09 €), Nr. 10 (2.671,69 €), Nr. 16 (617,97 €), Nr. 17 (269,41 €) und Nr. 18 (5.228,54 €), die der Anwaltsgerichtshof ebenfalls berücksichtigt hat. Allein hieraus ergeben sich hinreichende Beweisanzeichen für das Vorliegen eines Vermögensverfalls, weshalb der Kläger nach oben genannten Grundsätzen darzulegen hatte, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids gegen ihn bestanden haben und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte. An einer solchen umfassenden und vor allem schlüssigen Darlegung fehlt es. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt eine schlüssige und geordnete Darstellung seiner Verbindlichkeiten sowie seiner Vermögens-, Einkommens- und Ausgabensituation im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vorgelegt.
Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof das nach dem Vortrag des Klägers bereits im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids existierende Immobilienvermögen nicht berücksichtigt. Vermögenswerte können nur dann von Bedeutung sein, wenn sie liquide sind (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg)
47/18, juris Rn. 6). Immobilienvermögen ist dementsprechend nur von Relevanz, wenn es dem Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs als liquider Vermögenswert zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden hat (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2019 - AnwZ (Brfg) 21/19, juris Rn. 8). Dies ist nicht ersichtlich. Der Vortrag des Klägers lässt Rückschlüsse auf eine solche Liquidität nicht zu. Im Gegenteil hat der Kläger im Zulassungsantrag vorgetragen, die Immobilien seien noch "mit einem Nutzungsrecht eines Dritten versehen, der den Nießbrauch innehat". Die vom Kläger behauptete künftige Verwertungsmöglichkeit der Immobilien nach dem Tod des Nutzungsberechtigten hindert an dem im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vorliegenden Vermögensverfall nichts.
c) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7). Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2018
- AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ergeben sich solche entgegen der Auffassung des Klägers nicht wegen des von ihm behaupteten Immobilienbesitzes.
2. Auch die sonstigen Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 VwGO sind nicht gegeben. Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (Nr. 2), noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (Nr. 3) oder liegt Divergenz vor (Nr. 4). Auch ist kein Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 5).
a) Ein Zulassungsgrund liegt entgegen der Auffassung des Klägers insbesondere nicht vor, soweit der Anwaltsgerichtshof trotz des behaupteten Immobilienvermögens einen Vermögensverfall angenommen hat. Die Frage, inwieweit Immobilienvermögen zu berücksichtigen ist, ist - wie ausgeführt - durch den Senat geklärt, und die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung. Auch liegt diesbezüglich kein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, da der Anwaltsgerichtshof das Vorbringen des Klägers berücksichtigt, aber - zu Recht - nicht für erheblich gehalten hat.
b) Ohne Erfolg macht der Kläger auch die Zulassung wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, weil der Anwaltsgerichtshof angenommen hat, dass die vom Kläger erstinstanzlich vorgelegten Belege für von ihm geleistete Zahlungen nicht geeignet seien, die Zahlungen nachzuweisen. Die Zulassung scheidet schon deshalb aus, weil ein Vermögensverfall - wie ausgeführt auch unter Berücksichtigung der vom Kläger im Zulassungsantrag noch behaupteten Tilgungen anzunehmen ist.
c) Entgegen der Auffassung des Klägers, der einen Verstoß gegen Art. 103 GG, Art. 20 GG, Art. 3 GG und Art. 12 GG geltend macht, werden durch die zutreffende, dem Gesetz entsprechende und im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats stehende Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs und durch den Widerruf der Zulassung dessen Grundrechte nicht verletzt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Limperg Remmert Wolf Merk Vorinstanz: AGH Berlin, Entscheidung vom 19.02.2020 - II AGH 14/17 - Liebert