11 W (pat) 8/12
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 8/12 Verkündet am 8. Dezember 2016
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
BPatG 154 05.11 betreffend das Patent 10 2007 024 203 hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Höchst sowie der Richter Kruppa, Dipl.-Ing. Fetterroll und Dipl.-Ing. Wiegele beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 26 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. August 2011 aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
Gründe I.
Auf die am 24. Mai 2007 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter Inanspruchnahme der Prioritäten US 60/809,315 vom 30. Mai 2006 und US 11/639,369 vom 14. Dezember 2006 eingereichte Patentanmeldung ist die Erteilung des Patents 10 2007 024 203 mit der Bezeichnung
„Überwachung einer Dosiermittelversorgung zum Behandeln von Abgas“
am 31. Dezember 2009 veröffentlicht worden.
Gegen das Patent ist ein Einspruch eingelegt worden, worauf die Patentabteilung 1.26 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent durch Beschluss vom 24. August 2011 beschränkt aufrechterhalten hat.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, der Patentgegenstand sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Er enthalte zudem eine unzulässige Erweiterung und sei nicht patentfähig, da er nicht neu sei, zumindest aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Des Weiteren stelle die geänderte Fassung der Beschreibung des Patents eine Schutzbereichserweiterung dar.
Zur Stützung ihres Vorbringens verweist die Einsprechende in ihrer Beschwerde u. a. auf den Vortrag von Charmley, Bill: EPA Diesel Update. In: Diesel Engine Emission Reduction Conference (DEER Conference), 22.08.2005, Vortragsfolien 1 bis 41, im Folgenden als Druckschrift D12 bezeichnet.
Die Einsprechende und Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 26 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. August 2011 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin hat mit Schriftsatz vom 20. September 2016 beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 1.26 des Deutschen Patentund Markenamts dahingehend abzuändern, dass das Patent auf Grundlage der folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten wird: Beschreibungsseiten 1 bis 8, eingereicht mit Schriftsatz vom 20. September 2016; Patentansprüche 1 bis 21, eingereicht mit Schriftsatz vom 10. August 2011; und Figuren 1 bis 4 gemäß Patentschrift; und die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.
Die Patentabteilung hat die genannten Patentansprüche der beschränkten Aufrechterhaltung des Patents zugrunde gelegt. Auf die Zwischenverfügung des Senats vom 20. Juli 2016 hat die Patentinhaberin eine geänderte Beschreibung eingereicht, und auf die Ladung hat sie ihren Antrag zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet (Gliederungszeichen ergänzt):
„1a Abgasnachbehandlungssystem für ein Fahrzeug, 1a.1 das ein Dosiermittel umfasst, 1a.1.1 welches von einer Dosiermittelversorgung selektiv in ein Abgas eingespritzt wird,
umfassend: 1b ein erstes Modul,
1b.1 das einen Pegel einer Dosiermittelquelle ermittelt; 1c ein zweites Modul,
1c.1 das ermittelt, ob sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen der Dosiermittelquelle befindet; und 1d ein drittes Modul,
1d.1 das selektiv den Fahrzeugbetrieb blockiert, 1d.1.1 wenn der Pegel der Dosiermittelquelle unterhalb eines Schwellenpegels liegt und 1d.1.2 das Fahrzeug sich an einem geeigneten Ort befindet; dadurch gekennzeichnet, dass 1e das zweite Modul ein Wartungsflag des Fahrzeugs überwacht und
1f auf Grundlage des Wartungsflags ermittelt, ob sich das Fahrzeug an dem geeigneten Ort befindet.“
Der Anspruchssatz gemäß Antrag umfasst weiterhin zwei nebengeordnete Patentansprüche 8 und 15, die ein zu Patentanspruch 1 analoges Verfahren bzw. Fahrzeug betreffen.
Der geltende Patentanspruch 8 lautet:
„8a Verfahren zum Überwachen eines Dosiermittels in einem Abgasnachbehandlungssystem eines Fahrzeugs, umfassend:
8b Ermitteln eines Pegels einer Dosiermittelquelle; 8c Ermitteln, ob sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen der Dosiermittelquelle befindet; und 8d selektives Blockieren des Fahrzeugbetriebs, 8d.1 wenn sich der Pegel der Dosiermittelquelle unter einem Schwellenpegel befindet; und 8d.2 sich das Fahrzeug an dem geeigneten Ort befindet; gekennzeichnet durch 8e ein Überwachen eines Wartungsflags des Fahrzeugs, 8f auf Grundlage dessen ermittelt wird, ob sich das Fahrzeug an dem geeigneten Ort befindet.“
Der geltende Patentanspruch 15 lautet:
„15a Fahrzeug, das durch eine Brennkraftmaschine angetrieben ist, die Abgas produziert, umfassend:
15g eine Dosiermittelquelle, 15g.1 die ein Dosiermittel bevorratet, 15g.1.1 das selektiv in das Abgas eingespritzt wird; und
15h ein Steuermodul, 15h.b das einen Pegel der Dosiermittelquelle ermittelt, 15h.c das ermittelt, ob sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen der Dosiermittelquelle befindet und 15h.d das den Fahrzeugbetrieb selektiv blockiert, 15h.d.1 wenn der Pegel der Dosiermittelquelle sich unterhalb eines Schwellenpegels befindet und 15h.d.2 sich das Fahrzeug an dem geeigneten Ort befindet; dadurch gekennzeichnet, dass
15e das Steuermodul ein Wartungsflag des Fahrzeugs überwacht und
15f auf Grundlage des Wartungsflags ermittelt, ob sich das Fahrzeug an dem geeigneten Ort befindet.“
Zu den jeweils rückbezogenen Patentansprüchen sowie den weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Akten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das Patent erweist sich in der verteidigten Fassung als nicht rechtsbeständig.
1. Der Antrag der Patentinhaberin auf die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents ist nebst den im Tatbestand genannten Beschreibungsseiten und Patentansprüchen nur auf die Figuren 1 und 2 gerichtet.
Mit ihrem Antrag aus dem Schriftsatz vom 20. September 2016 (Seite 2, 3. Spiegelstrich) hat die Patentinhaberin wörtlich die beschränkte Aufrechterhaltung mit den Figuren 1 bis 4 gemäß Patentschrift beantragt. Offensichtlich sollten dem Antrag aber nur die Figuren 1 und 2 zugrunde gelegt werden, wie aus den weiteren Ausführungen aus dem genannten Schriftsatz hervorgeht. Im Einklang mit der neu eingereichten, geänderten Beschreibung ist dort im 1. Absatz auf Seite 4 angegeben: „wurden nun die Fig. 3 und 4 samt der zugehörigen Beschreibung ersatzlos gestrichen“. Daraus und der weiteren Stellungnahme der Patentinhaberin folgt unmissverständlich, dass die beschränkte Aufrechterhaltung nur mit den Figuren 1 und 2 gewollt ist.
2. Das angegriffene Patent betrifft ein Abgasnachbehandlungssystem für ein Fahrzeug. Durch das Abgasnachbehandlungssystem sollen Emissionen von im Abgas enthaltenen Partikeln wie Stickoxide (NOx), Kohlendioxid und Kohlenmonoxid reduziert werden. Das Abgasnachbehandlungssystem arbeitet mit einem Dosiermittel, das in das Abgas der Brennkraftmaschine des Fahrzeugs eingespritzt wird. Dabei soll der Pegel einer Dosiermittelquelle ermittelt und bestimmt werden, ob sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen des Dosiermittels befindet. Wenn der Pegel des Dosiermittels in der Dosiermittelquelle unterhalb eines Schwellenpegels liegt und das Fahrzeug sich an einem geeigneten Ort befindet, soll der Fahrzeugbetrieb blockiert werden. Das Patent betrifft auch ein entsprechendes Verfahren zum Überwachen des Dosiermittels sowie ein entsprechendes Fahrzeug.
a) Das Abgasnachbehandlungssystem wird anhand einer mit Diesel-Kraftstoff betriebenen Brennkraftmaschine beschrieben, in deren Abgas stromauf eines Katalysators ein Dosiermittel (z. B. Harnstoff) zur selektiven katalytischen Reduktion von Stickoxiden eingespritzt wird.
In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, die Menge an eingespritztem Dosiermittel basiere auf dem Niveau von Emissionen in dem Abgas. Die gewünschte Verringerung von Emissionen erfolge nicht, wenn infolge einer leeren Dosiermittelversorgung oder eines zu geringen Pegels des Dosiermittels nicht genügend Dosiermittel in den Abgasstrom eingespritzt werde.
Es sei bekannt, den Füllstand des Dosiermittels zu erfassen und über die Motorelektronik einen späteren Kraftstoffeinspritzzeitpunkt zu veranlassen, wenn das Dosiermittel verbraucht sein sollte. Ferner sei bekannt, so viel Dosiermittel (im Fahrzeug) zu bevorraten, dass es während eines Wartungsintervalls nicht vollständig verbraucht werde.
Vorgeschlagen worden sei auch das Betreiben einer Brennkraftmaschine mit einer Betankungssperre, sobald eine Mindestmenge an Betriebsstoffen unterschritten wurde. Dabei werde die Menge des vorhandenen Betriebsstoffes erfasst und der Start der Brennkraftmaschine gesperrt, wenn der noch vorhandene Betriebsstoff einen Minimalwert unterschreite oder wenn er nach einem Betankungsvorgang für die verlängerte Betriebsdauer nicht mehr ausreiche. Bei einer Zunahme des Kraftstoffpegels oder aufgrund des Ergebnisses der Überwachung eines Ölparameters werde auf einen geeigneten Ort geschlossen, an dem ein Dosiermittel erhältlich ist.
b) Im Streitpatent (geltende Fassung) wird angegeben, die Bestimmung des geeigneten Ortes anhand des Kraftstoff- oder Ölpegels könne fehlerhaft sein, da Kraftstoff oder Öl auch abseits von Tankstellen oder Werkstätten nachgefüllt werden könnten, wo jedoch keine Dosiermittel verfügbar seien (vgl. Seite 3, 1. Absatz).
Das zu lösende Problem solle sein, den geeigneten Ort besser bestimmen zu können.
c) Wie im angefochtenen Beschluss festgehalten, ist von einem Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik mit mindestens Fachhochschulausbildung als einem mit der Lösung dieser Aufgabe beauftragten Fachmann auszugehen, der eine mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Emissionsminderung und insbesondere der katalytischen Abgasnachbehandlung von Verbrennungsmotoren besitzt. Er arbeitet im Team mit weiteren erfahrenen Ingenieuren der Fachrichtung Elektrotechnik, die in der Anwendung von Hardware und der Entwicklung von Software für Kraftfahrzeugsteuerungen versiert sind, und kann auf deren Fachwissen zurückgreifen.
d) Einige Merkmale der vorgeschlagenen Lösungen bedürfen der Erläuterung.
Das Streitpatent erläutert nicht näher, was unter einem selektiven Einspritzen eines Dosiermittels in ein Abgas zu verstehen ist. In Abs. [0025] der Beschreibung der Patentschrift bzw. Seite 6, 2. Abs. der geltenden Beschreibung ist ausgeführt, dies erfolge, um die Emissionen weiter zu verringern, ohne jedoch einen Bezugspunkt anzugeben. Insbesondere werde die Menge des eingespritzten Dosiermittels auf Grundlage von verschiedenen Parametern ermittelt. Das durch einen Abgassensor erzeugte Signal stelle einen Rückkopplungsparameter bereit, der zur Überwachung der berechneten Dosiermittelmenge verwendet werden könne. Demnach kann das selektive Einspritzen des Dosiermittels als eine an die vorliegende Schadstoffmenge durch einen Regelvorgang angepasste Dosiermenge aufgefasst werden. Nach der Beschreibung kann es sich bei dem Dosiermittel um Harnstoff handeln, das zur Verringerung von Stickoxiden (NOx) im Abgas durch eine selektive katalytische Reduktion verwendet wird (vgl. Seite 1, Abs. 2 und 3, Seite 5 letzter Abs. und Seite 6, 1. Abs.).
Ein Modul ist laut geltender Beschreibung ein Prozessor und ein Speicher, die ein oder mehrere Software- oder Firmwareprogramme ausführen, oder eine kombinatorische Logikschaltung (vgl. Übergangsabsatz von Seite 4 zu 5). Körperliche Merkmale des Prozessors und Speichers oder der Logikschaltung offenbart das Streitpatent nicht. Dementsprechend können das erste, zweite und dritte Modul ein einziger Prozessor mit Speicher oder eine einzige Logikschaltung sein.
Nach der ISO/IEC-Norm 24765 ist Software ein Programm oder eine Menge von Programmen, ggf. die zugehörige Dokumentation und weitere Daten, die zum Betrieb eines Computers notwendig sind. Firmware ist funktional fest mit der Hardware verbunden, also den physischen Anteilen des Systems, und demnach in das System eingebettet. Es ist grundsätzlich möglich, jegliche Funktionalität allein in Hardware abzubilden, und diese Hardware wäre ohne jegliche Software funktionstüchtig und bedienbar (beispielsweise Schaltkreise), die das jeweilige Prinzip direkt umsetzten, ohne dass Software im Spiel war. Kombinatorische Logikschaltungen sind Schaltungen, die logische Verknüpfungen der Eingangsvariablen realisieren. Zu jedem Eingangszustand gehört ein bestimmter Ausgangszustand. Welche logische Funktion die Schaltung realisiert, ist nicht festgelegt, sondern erfolgt erst über die Zuordnung zwischen einem Pegelzustand und dem logischen Zustand.
Das beanspruchte Abgasnachbehandlungssystem ist auch durch mehrere Funktionalitäten beschrieben, ohne in den Patentansprüchen auf den physischen Aufbau einzugehen. Dies wird nur in der Beschreibung etwas näher erläutert.
So soll das Ermitteln des Pegels einer Dosiermittelquelle auf der Grundlage des durch einen Dosiermittelversorgungssensor 46 erzeugten Signals erfolgen.
Das Ermitteln auf Grundlage eines Wartungsflags, ob sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen der Dosiermittelquelle befindet, kann durch Überwachen eines Wartungsflags in einem Speicher erfolgen, um aus dem Zurückset- zen des Flags auf einen geeigneten Ort – wie eine Werkstatt – zum Nachfüllen des Dosiermittels zu schließen.
Die weitere in der erteilten Fassung des Streitpatents offenbarte Vorgehensweise zum Ermitteln, ob sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen der Dosiermittelquelle befindet, ist anhand eines Betankungsvorgangs beschrieben und aus der geltenden Fassung gestrichen worden (Fig. 3 und 4 i. V. m. zugehörigen Beschreibungspassagen). In der von der Patentabteilung beschränkt aufrechterhaltenen Fassung ist die spezielle Vorgehensweise nach Fig. 3 als nicht erfindungsgemäß gekennzeichnet worden (Seite 9, Zeilen 27 bis 29). Gleichwohl sind in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung nach wie vor Kraftstoff- oder Ölpegel sowie Ölparameter als auslösende Ereignisse für die Feststellung herangezogen worden, dass ein geeigneter Ort zum Nachfüllen des Dosiermittels vorliege („setzt selektiv FLAGCL“; vgl. Seite 11, Zeilen 18, 19). Der Auffassung der Patentinhaberin, dass der darauffolgende Satz „das FLAGCL wird selektiv auf der Grundlage von Wartungsflags gesetzt“ schließe dies aus, kann nicht gefolgt werden, zumal dieser Satz in der erteilten Fassung i. V. m. Abs. [0029] auf eine Alternative hindeutet. Insbesondere fehlt es an dem dem Begriff „selektiv“ zugewiesenen Verständnis „ausschließlich“.
Der geeignete Ort ist jeder Ort, an dem zusätzliches Dosiermittel wahrscheinlich erhältlich ist (vgl. Seite 7, mittlerer Absatz). Der geeignete Ort ist nicht auf eine beispielsweise genannte Wartungswerkstatt beschränkt (vgl. Seite 7, letzter Satz des 2. Absatzes).
Das selektive Blockieren des Fahrzeugbetriebs bedeutet, das Fahrzeug wird fahrunfähig gemacht oder seine Fahrbarkeit eingeschränkt (vgl. Seite 7, mittlerer Absatz).
Das Streitpatent definiert nicht, was eine Wartung ist. Laut geltender Fassung (Übergangsabsatz von Seite 2 auf 3) soll Wartung wohl kein Betanken und kein Ölwechsel oder Ölnachfüllen sein. In der erteilten Fassung des Streitpatents ist eine Wartung als eine Alternative zum Betanken oder einem Ölwechsel dargestellt worden (vgl. Abs. [0029], [0037]).
Gemäß DIN 31051 ist Wartung eine der Grundmaßnahmen „zur Bewahrung und Wiederherstellung des Soll-Zustandes sowie zur Feststellung und Beurteilung des Ist-Zustandes von technischen Mitteln eines Systems“. Sie dient zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrats. Eine Wartung umfasst z. B. das Nachfüllen, Ergänzen oder Ersetzen von Betriebsstoffen oder Verbrauchsmitteln (z. B. Kraftstoff, Schmierstoff oder Wasser) und planmäßiges Austauschen von Verschleißteilen (z. B. Bremsbelege, Wischerblätter oder Filter), wenn deren noch zu erwartende Lebensdauer offensichtlich oder gemäß Herstellerangabe kürzer ist als das nächste Wartungsintervall.
Im Sinne des Streitpatents ist Wartung demnach eine der vorstehend genannten Maßnahmen mit Ausnahme einer Betankung des Fahrzeugs, eines Ölwechsels oder Nachfüllens von Öl.
Auch ein Wartungsflag ist im Streitpatent nicht eindeutig definiert. In den Patentansprüchen fehlen jedwede Hinweise hierzu. Laut Beschreibung könnte es sich um eine als Indikator gespeicherte Größe handeln, die einem Zustand zugeordnet ist (Seite 7, letzter Absatz i. V. m. den beiden vorangestellten Absätzen mit dem in anderem Zusammenhang verwendeten Begriff „Flag“ und mit als Beispiel genannten Werten „1“ oder „TRUE“ für den Fall, dass eine Bedingung erfüllt ist oder ein bestimmter Zustand vorliegt). Weitere durch eine Steuerung oder ein Programm identifizierbare Indikatoren für einen Zustand sind möglich.
Gleichwohl unterscheidet das Streitpatent zwischen einem Wartungsflag oder Flag einerseits und an den Bediener gerichteten Anzeigen in Form visueller und/oder hörbarer Hinweise andererseits (vgl. Seite 6 letzter Absatz: „Zusätzlich aktiviert das Steuermodul 50 eine Anzeigevorrichtung“).
Für die Auslegung des Begriffs „Wartungsflag“ ausschließlich als logische Variable innerhalb einer Fahrzeug- oder Motorsteuerung, deren Zustand durch aktiv durchgeführte Maßnahmen vom Wartungspersonal unmittelbar nach einem Wartungsvorgang geändert werden kann, liefert jedoch weder die erteilte noch die geltende Fassung des Patents eine Veranlassung. Die beispielhaft genannten Werte „1“ und „TRUE“ sowie die Angabe, dass erfindungsgemäß Wartungsflags in einem Speicher gespeichert sind, lässt nicht den Rückschluss zu, dass ein Wartungsflag eine logische Variable ist und dass Wartungspersonal aktiv in eine Steuerung eingreifen muss, um ein Wartungsflag zurückzusetzen. Zudem soll das Modul auch eine kombinatorische Logikschaltung sein können, die nicht notwendigerweise einen „Speicher“ für den Zustandsindikator erfordert. Jedenfalls ist weder den Patentansprüchen noch der Beschreibung eine Beschränkung auf eine derart enge Definition des Begriffs Wartungsflag zu entnehmen.
3. a) Zugunsten der Patentinhaberin wird unterstellt, die beanspruchten Gegenstände seien in dem Patent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
Es wird auch unterstellt, die Angabe eines anderen technischen Problems und das Streichen weiter Teile der Beschreibung in der beschränkt aufrechterhaltenen und der geltenden Fassung des Patents stelle keine Erweiterung des Schutzbereichs des Patents dar (§ 22 PatG).
Des Weiteren wird unterstellt, dass der Einspruchsgrund der Erweiterung des Gegenstands des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich am Anmeldetag eingereichten Fassung hinaus (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) nicht gegeben ist. Es mag zutreffen, dass der Beschwerdesenat nicht befugt ist, von Amts wegen neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt waren, aufzugreifen und hierauf seine Entscheidung zu stützen. Allerdings darf die Einsprechende im Beschwerdeverfahren zusätzliche Widerrufsgründe geltend machen, die nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entschei- dung gehören, wenn eine das Patent aufrechterhaltende Entscheidung des Patentamts in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten ist. (vgl. BGH X ZB 1/16 – Ventileinrichtung – vom 8. November 2016).
b) Das durch Patentanspruch 8 definierte Verfahren ist zweifelsohne gewerblich anwendbar. Es ist jedoch nicht patentfähig, denn es beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 21, Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 und 4 PatG).
In der Druckschrift D12 werden Möglichkeiten und Herausforderungen einer Abgasnachbehandlung insbesondere im Hinblick auf Stickoxide in Abgasen von Fahrzeugen mit Dieselmotoren erörtert (vgl. Seite 7 i. V. m. Seite 17 und insbesondere Seiten 20 bis 25). Namentlich genannt sind u. a. die selektive katalytische Reduktion im Zusammenhang mit der NOx-Reduktion und ein NOx-Sensor im Abgas. Dazu wird als Dosiermittel Harnstoff (urea) in das Abgas eingespritzt. Notwendigerweise muss dazu eine Harnstoffversorgung (Dosiermittelversorgung im Sinne des Streitpatents) und ein Harnstofftank (Dosiermittelquelle) vorhanden sein (vgl. z. B. Seite 20, 21, 25). Als nicht hinreichend werden akustische oder optische Warnhinweise bei Harnstoffmangel in dem Abgasnachbehandlungssystem angesehen. Empfohlen werden Blockierungsmaßnahmen wie das Verhindern eines Fahrzeugstarts nach einem Betankungsvorgang bei niedrigem Harnstoffpegel (vehicle won´t start after refueling with low urea level; vgl. Seite 25). Dies impliziert, dass in dem Fahrzeug der Füllstand der Dosiermittelquelle erfasst, also das Vorhandensein des Dosiermittels überwacht und seine Menge ermittelt wird sowie ein Schwellenwert festgelegt ist, ab dem der Pegel des Dosiermittels als niedrig zu gelten hat. Dazu ist notwendigerweise auch mindestens ein Prozessor und ein Speicher oder eine logische Schaltung erforderlich (Merkmale 8a, 8b sowie Merkmale 8d und 8d.1).
Wenn der Fahrzeugbetrieb nach einem Betankungsvorgang blockiert wird, setzt dies voraus, dass ein Betankungsvorgang auf Grund irgendeiner Überwachung festgestellt worden ist, z. B. des Kraftstoffpegels. Das Blockieren des Fahrzeugbe- triebs erfolgt also letztendlich, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Der Pegel des Dosiermittels liegt unterhalb eines Schwellenwertes und das Fahrzeug wurde betankt. Die Druckschrift D12 befasst sich auch mit der Problematik der Verfügbarkeit von Harnstoff zum Nachfüllen (vgl. Seite 24). Genannt werden Einzelhändler, Autohändler und Ölwechselstationen, Rastplätze für Lastkraftwagen und Service-Stationen sowie Tankstellen. All diese Orte sind geeignete Orte im Sinne des Streitpatents. Die Entscheidung, das Blockieren des Fahrzeugbetriebes basierend auch auf dem Ergebnis der Feststellung vorzunehmen, dass ein Betanken stattgefunden hat, ist gleichbedeutend mit der Feststellung, also dem Ermitteln, dass sich das Fahrzeug an einem geeigneten Ort zum Nachfüllen der Dosiermittelquelle befindet, nämlich einer Tankstelle. Sie ist ein Ort, an dem ein Dosiermittel wahrscheinlich erhältlich ist (Merkmale 8c, 8d.2).
Die physische und programmtechnische Umsetzung der Empfehlungen überlässt der Autor der Druckschrift D12 den Herstellern und geht auf Details der Umsetzung nicht näher ein. Insbesondere fehlen Angaben zur Erfassung von Signalen, des Setzens oder Löschens von Indikatoren sowie deren Überwachung und auf dessen Grundlage zu ermitteln, das Fahrzeug befinde sich an einem geeigneten Ort (Merkmale 8e, 8f).
Diese Umsetzung ist jedoch fachmännische Routine.
Das Streitpatent in der geltenden Fassung beschränkt sich hinsichtlich der technischen Realisierung des Verfahrens darauf, anzugeben, es werden Wartungsflags überwacht, die zurückgesetzt werden, unmittelbar nachdem ein Wartungsvorgang stattgefunden hat. Abgesehen von der Überwachung ist dies jedoch nicht Gegenstand der Patentansprüche.
Mangels weiterer Erläuterungen im Streitpatent, muss – ausgehend von einem ausführbar offenbarten Verfahren – dem Fachmann unterstellt werden, dass er das notwendige Wissen und Können mitbringt, was Wartungsflags sind, wie sie in einer Steuerung gesetzt und zurückgesetzt werden und wie eine entsprechende Programmierung vorzunehmen ist. Auch wenn im Ablaufplan eines Steuerprogramms an einer Verzweigung bei der Beachtung einer Bedingung nicht unbedingt ein „Flag“ gesetzt werden muss, ist dies eine programmtechnisch oft genutzte Vorgehensweise, die zuverlässig die Wiedergabe eines Zustands beim Vergleich von Signalen mit Schwellenwerten ermöglicht. Einflüsse von Schwankungen der Signalstärke und Rundungsfehlern können damit reduziert werden.
Die Hinweise in der Druckschrift D12 betreffend die Blockade des Fahrzeugbetriebs sind nicht auf ein „Tankszenario“ reduziert. Dieses ist lediglich als Sonderfall eines allgemeinen Prinzips anzusehen (vgl. Seite 25, „some type of no-start mechanism“) und erst danach folgt der spezielle Vorschlag als eine mögliche Ausführung. Aus der Druckschrift D12 ergibt sich, dass auch Lösungen abseits eines „Tankszenarios“ zu suchen sind, etwa das Nachfüllen von Dosiermittel an Ölwechselstationen und Wartungsstationen vorzunehmen (vgl. D12, Seite 24, oil change locations, service stations). Dies entspricht den drei in der erteilten Fassung des Streitpatents erwähnten Alternativen.
Der Fachmann sieht daher die Feststellung eines Betankungsvorgangs bei der Programmierung einer Fahrzeugsteuerung, die darauf ausgerichtet ist, einen Fahrzeugbetrieb mit Sperrfunktionen zu versehen, wenn ein Dosiermittel zur Reduktion von Stickoxiden in einer Dosiermittelquelle unterhalb eines Schwellenpegels liegt, als eine mit der Überprüfung des Pegels der Dosiermittelquelle zu verknüpfende Bedingung an, zu der es Alternativen gibt, wie die Feststellung, es habe ein Ölwechsel oder eine Wartung stattgefunden.
Zum Anmeldezeitpunkt war es bereits gängige Praxis, dem Fahrer eines Fahrzeugs Warnhinweise über fällige Wartungen mitzuteilen. Nicht selten sind die Hinweise an den Ablauf von Zeitintervallen oder an bestimmte Fahrleistungen gekoppelt. Dies setzt voraus, dass in der Steuerung des Fahrzeugs entsprechende Informationen verarbeitet werden müssen. Dazu sind Prozessoren und Speicher erforderlich. Es muss auch ein Indikator für die Fälligkeit der Wartung vorhanden sein, denn andernfalls kann der Warnhinweis nicht ausgegeben werden. Der Indikator muss auch überwacht werden, weil sonst nicht festgestellt werden kann, ob die Wartung noch ansteht oder nicht (Merkmal 8e). Die Änderung des Indikators, sei es aktiv oder passiv, erfolgt sinnvollerweise immer dann, wenn die Wartung vorgenommen wurde. Implizit ist die Änderung (und Überwachung) des Indikators auch mit der Feststellung verbunden, das Fahrzeug befindet an einem geeigneten Ort, denn Änderungen des Indikators erfolgen stets dort, wo Wartungen vorgenommen werden. Definitionsgemäß ist Dosiermittel dort mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhanden (Merkmal 8f).
Nach alledem ist das beanspruchte Verfahren nach Patentanspruch 8 das Ergebnis der fachmännischen Umsetzung der in der Druckschrift D12 gegebenen Hinweise und Anregungen zur Blockade eines Fahrzeugbetriebs, zumal das Streitpatent davon ausgeht, dass ein Fachmann eine Umsetzung wohl vornehmen kann. Denn auch das Streitpatent geht nicht näher auf das Wartungsflag bzw. auf die zur Überwachung des Wartungsflags notwendigen Vorrichtungen, Schritte oder Maßnahmen ein. Die Patentinhaberin hat auch nicht hilfsweise versucht, das Verfahren im Patentanspruch dahingehend zu konkretisieren, wie sie es verstanden wissen will.
4. Dem Antrag der Patentinhaberin auf beschränkte Aufrechterhaltung des Patents kann somit nicht entsprochen werden, zumal sich der Gegenstand des Patentanspruchs 8 in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents nur im Umfang eines Anspruchssatzes begehrt, der diesen nicht bestandsfähigen Patentanspruch mit umfasst.
III.
Rechtsmittelbelehrung Dieser Beschluss kann mit der Rechtsbeschwerde nur dann angefochten werden, wenn einer der in § 100 Absatz 3 PatG aufgeführten Mängel des Verfahrens gerügt wird. Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Höchst Kruppa Fetterroll Wiegele Fa